Mittwoch, 4. März 2009

Der alte Fischer und das späte Glück



Die Normandie liegt im Norden Frankreichs. Der Name der Region stammt aus dem Mittelalter als einheimische Franzosen und die hereingezogenen Wikinger einen neuen Volksstamm begründeten, die Normannen.

Die Landschaft ist so einzigartig, wie die in der Geschichte wechselnden Eroberer. Unsere Erzählung führt uns an die Küste der Haute Normandie. Am 6.Juni 1944 startete hier die Operation Overlord.

Die Menschen der Normandie sind nicht nur viel gewohnt, sie haben auch ihre eigene Lebensweise, ihre eigenen Ansichten. Das ist völlig normal zudem ist das Leben hier nicht immer ganz so einfach.

Der alte Antoine, siebzig Jahre ist so ein typisches Beispiel. Den Stürmen des Lebens getrotzt, die Haut vom Meersalz gegerbt, immer mit dem Meer gerungen. An diesem Morgen steht er am Kai vor seinem Fischerboot und die Welt sieht eher düster aus. Es ist ein schöner Morgen genau richtig um sich des Lebens zu erfreuen. In Antoines Brust aber schlägt ein wundes Herz.
Die Seemöwen umkreisen ihn, setzen sich keck auf seinem Schiff ab. Seine Mathilde aber schweigt, so wie es im Moment aussieht schweigt sie wohl für immer. In fünfzig Jahren hat sie ihn nie im Stich gelassen. Ausgerechnet jetzt, wo er wieder einmal fast Pleite ist, gibt die Maschine den Geist auf. Sein Atem geht schwer, sein Blick ist leer. Er starrt geradeaus auf die See.

Ein Fahrrad kommt des Weges daher auf dem Sattel sitzt Hugo. Hugo ist auch nicht mehr der Jüngste, Frührentner seit einem Unfall in der Fabrik und fährt der Gesundheit wegen mit auf dem Schiff. Er stellt sein Fahrrad ab.
„ Morgen Antoine, was ist los? Wieso läuft die Maschine noch nicht?“
Der alte Fischer dreht sich zu seinem Freund um, blickt ihn stumm an. Hugo macht eine abwehrende Handbewegung.
„Verstehe die wortkargen Normannen hüllen sich in Schweigen.“
Antoine muss doch leicht lächeln.
„ Du alter Schwätzer! Nichts verstehst du, rein gar nichts!“
Hugo tritt neben ihn, betrachtet das Schiff.
„ Sieht unsere Mathilde nicht gut aus?“
Antoine schaut ihn entsetzt an.
„ Meine Mathilde ist tot!“
„Ja! Die echte Frau schon, aber das Schiff lebt doch.“
„Eben nicht!“
„Was willst du damit sagen?“
Antoine sagt spöttisch.
„Was schon, die Maschine ist im Eimer.“
„Schöne Scheiße! Was machen wir nun?“
Antoine gibt keine Antwort. Er macht sich auf den Weg zum Leuchtturm. Vor dem Eingang steht eine Bank.
Der Blick von dieser Bank reicht weit auf das Meer hinaus. Irgendwann eines Tages musste es soweit kommen.
Aus! Vorbei! Fischerei Ade.
Jetzt darf er wohl hier sitzen, wie ein alter Greis und sich nach seinem geliebten Meer sehnen.
Hugo der nun auch bei der Bank eingetroffen ist, setzt sich neben ihn.
„Jetzt sitzen wir hier zwei alte Fischer auf der Abschiebebank.“
Das hätte Hugo besser nicht gesagt.
„Fischer? Ich bin Fischer, du bist allenfalls ein Fabrikarbeiter oder besser gesagt Hilfsmatrose.“
„Jetzt werde Mal nicht beleidigend, ich bin dein Freund. Irgendwas müssen wir doch tun können?“
Antoine faltet die Hände wie zum Gebet sein Blick wandert über das Meer.
„Da gibt es nicht mehr viel zu tun. Ich müsste das Haus beleihen und das macht meine Tochter nicht mit. Der Fang ist halt in den letzten Jahren immer stärker zurückgegangen. Meine Reserven habe ich schon lange aufgebraucht. An Wunder glaube ich nicht mehr. Ich werde Nicolas bitten mir das Boot auf das offene Meer zu schleppen, dann ersaufe ich mich mit Mathilde.“
Hugo wird kreidebleich, das meint der wohl noch im Ernst.
„Du kannst doch nicht einfach dein Boot versenken mit dir. Du spinnst doch! Ich glaube du hast den Verstand verloren.“
„Vielleicht habe ich noch nie Verstand besessen. Meine Mathilde hat zu Lebzeiten immer gesagt, ich sei ein verrückter Kerl. Die muss es wohl gewusst haben.“
„Das hast du falsch verstanden deine Frau hätte nie deinen Tod gewollt. Nie! Da bin ich mir ganz sicher, so wie die war.“
„Ich bin am Ende und dieser Baptiste wird nie mein Boot bekommen und verschrotten lasse ich meine Mathilde auch nicht. Das kannst du mir ruhig glauben.“
„Du solltest überlegen, wie wir an eine neue Maschine kommen. Ich denke Mathis würde die einbauen.“
„Hugo das ist dein Problem, du denkst zuviel! Das Spiel ist aus, endgültig. Vorbei verstehst du, mein Leben ist dahin.“

Adelina, die Witwe des Fischers Louis steht plötzlich vor ihrer Bank.
„Was redest du nur für einen Müll! Hast du Nichts anderes zu tun, als mir meine Bank am Morgen zu klauen. Schaff dich auf dein Schiff, Antoine und nimm deinen Zwerg gleich mit.“
Erschrocken, schauen Antoine und Hugo auf die erboste Frau vor ihnen.
„Adelina! Was machst du hier?“
„Frage nicht so blöd, Antoine! Ich will auf meine Bank mit meinem Mann reden.“
Hugo fällt natürlich wieder einmal dazu eine Anmerkung ein, die er besser unterlassen sollte.
„Madame der liegt auf dem Friedhof.“
„Was mischt dieser dämliche Zwerg sich eigentlich in unser Gespräch ein. Natürlich liegt Louis auf dem Friedhof! Wo den sonst du Blödmann? Er ist schließlich in seinem Bett gestorben; aber das Meer war seine große Liebe. Wir unterhalten uns eben auf dieser meiner Lieblingsbank.“

Hugo ist ganz still, mucksmäuschenstill. Dieser alten Furie darf er nicht noch mehr Gelegenheit geben zur Schelte.
„Wieso bist du nicht auf deinem Schiff Antoine?“
„Ich bin am Ende!“
„So wie du da sitzt, einem Häufchen Elend gleich, könnte ich dem glatt zustimmen. Falls du aber glaubst, ich ziehe dir die Würmer aus der Nase irrst du dich gewaltig.“
Antoine rappelt sich auf, sieht von oben auf sie herab. Die wäre damals fast seine Frau geworden, wäre nicht Mathilde aus Paris plötzlich hier aufgetaucht.
„Meine Maschine ist kaputt!“
„Na und dann baue dir eine Neue ein.“
„Du weißt schon, ich kann sie nicht selber einbauen. Außerdem habe ich kein Geld.“
Adelina setzt sich lächelnd auf die Bank.
„So! So! Antoine ist also Pleite. Was machen wir da?“
„Ich werde nie, wie du, an diesen Scheiß Baptiste verkaufen.
Mein Schiff und ich gehen im Meer unter.“
Adelina lacht nun ungeniert und laut.
„Das möchte ich sehen, wie du mit einem kaputten Motor das Schiff auf das Meer bekommst. Du bist wirklich ein großer lieber Spinner. Das habe ich immer an dir gemocht, deine zuweilen total verrückten Ideen. Leider hast du dir ja die Falsche genommen.“
„Ich hatte eine herzensgute Frau!“
Adelina zeigt unvermittelt ihre weibliche Größe.
„Das würde ich auch so sehen, du hattest eine großartige Frau. Weil das so war, oder sage ich besser vielleicht auch noch ist, zumindest wenn wir nach dem Schiff da schauen, verrate ich dir ein Geheimnis. Ich habe zwar das Schiff verkauft, nicht aber das große Ersatzteillager.“
Antoine schaut sie sprachlos an.
„Was willst du damit sagen Adelina?“
„Nun vielleicht habe ich deinen dramatischen, theatralischen nicht anzusehenden Abgang vorausgeahnt. Kann ich so etwas Marie antun? Den Vater den Haien zu opfern, also ehrlich. Antoine ohne dich wäre die Küste hier mehr als leer.“
Sie nimmt aus ihrer Tasche einen Schlüsselbund, entfernt einen Schlüssel und reicht ihn Antoine.
„Erwarte nicht da sich mitkomme, ich habe von dem Kram keine Ahnung, es gehört alles dir.“
Antoine nimmt den Schlüssel wiegt ihn schwer in seinen Händen.
„Das kann ich nicht bezahlen.“
Adelina ist leicht verärgert.
„Willst du mich beschämen? Ich schenke dir den Kram und du faselst hier was von bezahlen! Mache dich auf den Weg damit ich meine Ruhe habe.“
Hugo packt den überraschten Antoine am Ärmel seiner Jacke und zieht ihn mit sich fort.
„Das ist wie Weihnachten!“
Antoine kann es nicht glauben.
„Warum tut sie das?“
„Mann alter Esel, die liebt dich immer noch. Du solltest dich mehr erkenntlich zeigen.“
„ Niemals! Ich liebe meine Mathilde!“
Hugo bleibt stehen und schreit Antoine an.
„Wann wirst du endlich wach! Mathilde liegt über zehn Jahre unter der Erde.“
„Das verstehst du nicht! Das kann keiner verstehen!“

In dem großen Schuppen staunen sie nicht schlecht. Sie finden in der Tat eine Maschine, aber auch einen wahren Fundus an Ersatzteilen. Die Zukunft scheint gesichert.
„Jetzt brauchen wir nur noch einen, der uns den Motor einbaut.“
Hugo sitzt auf einer großen Holzkiste, meint lächelnd.
„Und das kostet Geld!“
„Eben, solches habe ich ja nicht.“
„Du solltest einfach mit Nicolas reden, an sein gutes Herz appellieren.“
„Hugo ich glaube nicht das wir damit viel erreichen werden.“ „Wir können es doch trotzdem wagen.“
„In Ordnung reden wir mit ihm.“

Auf dem Weg zu Nicolas laufen sie direkt Adelina und Marie in die Arme.
„Hallo Vater, habe schon von deinem Pech gehört. Dieses Mal ist es die Maschine.“
Antoine bleibt auf der Straße stehen, blickt die zwei Frauen wie ein Weltwunder an. Wieso kommen die gemeinsam? Warum reden die miteinander? Was läuft hinter seinem Rücken?
„Wieso redet ihr miteinander?“
Marie zuckt mit den Schultern.
„Wieso? Weil wir Menschen sind, zudem ist es nicht klug im Alter allein zu sein.“
Antoine entrüstet sich. „Ich bin nicht allein.“
„Doch Vater, du hast dich allein auf dein Schiff verzogen mit deinem Leichtmatrosen. Gehst ständig dem Leben aus dem Weg. Weißt du eigentlich wie viel Glück du hast, uns beide Frauen zu haben.“
„Das muss ich jetzt nicht verstehen!“
„Komm Adelina die Geschichte mit Nicolas müssen wir auch noch regeln, bevor das in die Hose geht.“
Die beiden Frauen gehen mit zur Werkstatt von Nicolas.
Nicolas ist im Alter von Marie, bereits geschieden und seit längerer Zeit der heimliche Freund von Marie.
Das darf der Papa aber nicht unbedingt wissen, der hat eigentlich einen besseren Schwiegersohn verdient.

Die Werkstatt ist eine Autowerkstatt, Boote werden nur noch selten repariert, das Geschäft lohnt einfach nicht mehr.
Serge der Geselle von Nicolas erblickt die Viererbande als Erster.
„Nicolas, ich glaube du kriegst richtigen Besuch.“
Nicolas hebt seinen Kopf, aus dem Motorraum eines Citroen, schaut interessiert auf die Straße. Sein Herz schlägt Salto, Marie ist dabei. Gleichzeitig steigt beim Anblick von Antoine, der Adrenalinspiegel gewaltig an. Das gibt Ärger!
„Ich glaube, ich gehe besser vor die Tür. Es könnte sein, dass der Alte hier gleich Kleinholz veranstaltet.“
Serge grinst ungeniert.
„Kein Wunder, wo du doch seine edle, heilige Tochter bumst!“
„Keine so ordinären Ausdrücke! Wir lieben uns.“
Serge gibt ihm noch einen guten Ratschlag mit auf den Weg. „Es heißt der Alte hat früher einen mächtigen Hammer drauf gehabt, du solltest beizeiten in Deckung gehen.“
„Du Rotzlümmel sei endlich ruhig.“
Lachend geht Nicolas vor die Halle. Lachen steckt zuweilen an, seine Marie lächelt ihm entgegen, Tante Adelina lächelt, Hugo lächelt. Was macht Antoine?
Der blickt diese ganze Sippe fragend an. Was geht hier vor? Die Antwort kriegt er auch noch aus denen heraus. Da ist er sich sicher.
Nicolas fragt freundlich. „Was gibt es Antoine?“
Der grault sich etwas verlegen seine wenigen verbliebenen Haare unter der Baskenmütze.
„So wie es aussieht brauche ich deine Hilfe.“
Nicolas ist keineswegs erstaunt.
„Nur zu raus damit!“
„Meine Mathilde, ich meine mein Schiff, also wie soll ich dir das jetzt erklären. Ich meine, ich habe kein Geld, aber eine Maschine habe ich schon.“
Nicolas fängt laut zu lachen an. Es geht nicht direkt um Marie, diese Nachricht beruhigt zumindest ihn.
„Hast du etwa einen Motorschaden?“
Antoine nickt, sieht dabei verlegen unter sich.
„Ehrlich gesagt, habe ich mich schon seit längerem gefragt, wie lange dein Kahn noch mitmacht. Die Fischerei ist doch keine Zukunft mehr. Du solltest das Geschäft an den Nagel hängen.“
Maria antwortet direkt.
„Nicolas, du sollst ihm die Maschine einbauen. Der Kahn muss auf See. Hast du eine Ahnung wie es um mich steht? Zuhause würde mein Vater mir eingehen, der braucht die Seeluft. Er wird nicht mehr groß fischen, das verspreche ich dir. Wir werden in Zukunft Ausflugsfahrten anbieten, Angelfahrten solche Sachen für Touristen. Wir haben sogar schon Aufträge. Adelina hat sich darum gekümmert. Ich habe übrigens mein Patent in der Tasche. Wir sind doch schließlich ein Familienunternehmen. Übrigens als zukünftiger Schwiegersohn könntest du es ihm leichter machen.“

Antoine begreift die Welt nicht mehr. Adelina hat sich um ihn gekümmert, Aufträge an Land gezogen. Seine Marie hat das Patent.
Er kriegt einen Schwiegersohn. Wo war er eigentlich wie das Alles passiert ist?
Tränen stehen in seinen Augen, ein Mann heult, ergriffen. Nicht verstehend wie das Schicksal, einfach Mal so, alle seine Sorgen wegfegt sein Leben bereinigt.
Unvermittelt drückt er Adelina an sich und gibt ihr einen Kuss. Das kommt für die Umstehenden vollkommen überrascht.
Nicolas der schon lange weiß, wie sehr seine Tante gelitten hat kann seine Freudentränen nicht verbergen.
Marie kommt zu ihm und er nimmt sie in seine Arme.

In den nächsten Tagen wird das Schiff in ein Trockendock verlegt, wird generalüberholt. Nicolas will kein Risiko eingehen, wenn seine Marie nun auch auf diesem Schiff fährt.
Innerhalb von einer Zeit von nur sechs Wochen sieht die Mathilde aus, als käme sie gerade erst frisch von der Werft.
Sozusagen bereit für ihre Jungfernfahrt mit neuen Zielen liegt sie wieder an ihrer alten Anlegestelle.

Baptiste steht vor dem Schiff mit einem seiner Vertrauten.
„Kannst du mir erklären, wie es möglich ist, dass dieser alte Scheißer wieder einen flotten Kahn hat? Bist du eigentlich noch zu dämlich eine Maschine richtig zu schrotten?“

Der Gescholtene blickt unterwürfig auf seinen Herrn.
„Ich verstehe das nicht! Vor allem wer hat dem die Maschine repariert?“
In ihrem Rücken stehen Nicolas und zwei Polizisten.
„Ich kann ihnen das sehr wohl erklären, außerdem hat diese Geschichte noch ein Nachspiel für sie Monsieur Baptiste.“
Der Angesprochene dreht sich mit seinem Begleiter um. Ehe er etwas sagen kann, klicken die Handschellen.
Nicolas lächelt ihn gütig an.
„Wir haben hier unsere eigenen Spielregeln müssen sie wissen. Wir dulden hier keine Verbrecher.“
Adelina sitzt auf der Bank am Leuchtturm und schaut auf den Mann neben ihr.
„Antoine ist es nicht langsam Zeit um in See zu stechen.“
„Ach weißt du, irgendwann findet auch ein alter Fischer einmal seinen Hafen. Ich muss nicht mehr jeden Tag auf See. Lassen wir doch die jungen Leute ran. Was meinst du, Adelina?“
„Mein lieber Antoine, ich habe mich schon gefragt, ob du jemals zu Vernunft kommst. Weißt du, besser spät als nie.“
Er schaut sie lächelnd an.
„Wie geht die Geschichte jetzt weiter?“
Sie nimmt ihn in den Arm.
„Ganz einfach, wir machen weiter, wo wir einst aufgehört haben.“
Antoine lächelt erfreut.
„Du meinst, wir sollten auf unsere alten Tage in den Hafen der Ehe einlaufen?“
Adelina gibt ihm einen Kuss. Natürlich sollten sie! Was spricht schon dagegen? Nichts!


© Bernard Bonvivant